Was ist neu? Was ist bedeutend an der Kunst des Günter Porrmann? Mit historischem Bewußtsein bezieht einer sich auf ideellen gesellschaftlichen Reichtum: auf das Erbe des Konkretismus nach dem Konzept Theo von Doesburgs und zugleich des Entwurfs einer «Gegenstandslosen Welt» Kasimir Malewitschs. Die andere Seite der Strategie Porrmanns ist die der doppelten Negation: Er vertritt exemplarisch eine Strategie in der Gegenwartskunst und provoziert mit seinen Bild-Objekten die Frage: Wo findet sich die Kunst nach der Bezugnahme auf den Alltag und der Kunst über Kunst durch Adaption – nun wieder jenseits der Abweichung von der Abweichung? Ist sie etwa in der Alltags-, Werbe- und Konsumästhetik aufgegangen?
Grafik 'Fläche' (1959)
Die Verknüpfung beider Seiten erreicht Porrmann durch seine entschiedene Problematisierung von Bezugnahme und Beziehung, von Relationalität. Und alle drei Stränge werden von Porrmann in den präsentativen Zeichen seiner ästhetischen Objekte bildnerisch argumentiert. Günter Porrmann reflektiert die Lage und das Schicksal von Kunstwerken heute, Thematik und Sujets sind seit einigen Jahren bei ihm Entzug und Entsorgung von Kunst – anderseits nimmt er Bezug auf Nachfrage, Bedarf und Bedürfnisse, Konsum und Genuß von Kunst und damit Nachschub, den die Kunstinteressierten und -interessenten fordern.
Welchen Weg gehen heute aber die Kunstwerke, wenn nicht zur Deponie – ein Depot ist die Privatsammlung, ein anderes das Museum, dort insbesondere das Magazin. Die Kiste in der Kiste ist Thema und Sujet bereits der «Boîte en valise» von Marcel Duchamp. Behältnisse zur Deponierung sind bei Porrmann ebensowohl integraler Bestandteil etlicher seiner Arbeiten: Kästen oder Schranke, Regale oder Stellagen...
In zwei parallelen Ausstellungen zeigte Günter Porrmann jüngst seine Lager – in Berlin waren es vier, in Köln sechs Kisten – samt Wand-Installation eines Großteils des Gelagerten: Arbeiten mit Schleiflack, Marke «Herbol schlagfest». Was nun Nachschub anbetrifft, so bezieht sich der Künstler neben der Thematik «Lagerhaltung» und «Angebot» vielfach auf Formen, Muster und Schemata aus der sogenannten niederen Kultur, die er in «hohe» überführt oder zurückbringt. Für den mehrmaligen Frontenwechsel der Künstler und den Funktionentausch der ästhetischen Schemata sei hier nur auf das Beispiel der Trivialisierung von Bauhaus-Konzepten im Design der 50er Jahre und das Recycling in der Gegenwartskunst verwiesen – auch eine Sorte von Wiedervereinigung. High and low culture, high lights and low shadows, E- und U-Kultur: U steht für Unterhaltung, E für Entertainment.
«Vermeidung» hat Günter Porrmann als Devise gewählt – ist es auch Verweigerung des Dienstes an der Kunst, wie ihn etwa Gerhard Merz willentlich betreibt? Der Spieltheorie John von Neumanns und der Theorie der Sprachspiele Ludwig Wittgensteins folgend lassen sich die Arbeiten Porrmanns ebenfalls als Spiele auffassen. Die Funktion des Künstlers kann als «Spielgeber» bestimmt werden, wie Eugen Gomringer den Konkretisten verstand; er legt die Regeln fest und eröffnet andererseits als Planer neue Handlungsmöglichkeiten, für sich und den Betrachter schafft er Platz für Intuition. Groys sprach von «Design»; dem möchte ich «Planning» an die Seite stellen.
Die jeweilige Realisation einzelner Werke können wir als Spielpartie ansehen. Die ästhetische Realisation wird vom Betrachter zum Abschluß gebracht – Rezeption ist nicht etwa Erleiden, sondern durchaus Aktivität, dem Betrachter ist sinnliche Produktion zugedacht, Aufnehmen wird zu Hervorbringen erweitert. Dem Betrachter ist die Funktion zugedacht, die gesetzten Spielregeln auszuführen, nämlich jene eröffneten Möglichkeiten nach seinen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Erfordernissen wieder einzuschränken.
Neben der Zeitbezogenheit der Wahrnehmung, die dem Rezipienten Freiheiten eröffnet, sind vor allem Offenheit, Indeterminiertheit und Leere Aspekte der Gemeinsamkeit mit dem Konzept indeterministischer Musik; «Klavierstück XI» von Karlheinz Stockhausen ist ein Beispiel. Radikal an ihre Grenzen getrieben wurde jene Tendenz mit John Cages Musik, «unbestimmt in bezug auf ihre Ausführung». In vergleichbarer Weise gehört die Leerstelle bei Porrmann zur Arbeit. Zeitabschnitte bei Aufführungen John Cages, die leergelassen sind, gehören jeweils zum Stück. Was fokussiert aber das an traditionellen Mustern und Schemata orientierte Konzertpublikum? «Jetzt ist wohl das Adagio zu Ende, und gleich beginnt das Andante...» (Man räuspert sich, rückt den Sessel zurecht, hustet, tuschelt mit dem Nachbarn, putzt sich die Nase.)
Porrmann stellt für den Betrachter Bezugnahmen und Beziehungen, Referenzen und Relationen bereit. Präsentation, Anzeige und Ostension, Zurschaustellen, Verweisen und Indizieren sind Synonyme für den Gestus seiner Arbeiten. Gegenstand der Notiz- und Bezugnahme – neben den unmittelbaren Bestandteilen der Arbeiten für sich – sind Objekte und ihr Umraum, Decke, Wände, Fußboden und andere Teile des Raumes; Ausmaße und Objekt-Proportionen im Verhältnis zum Betrachter; schließlich auch in dessen Verhältnis zu den anderen. Porrmann bezieht sich in etlichen Arbeiten auf Rahmen, Kanten, Seiten der Bild-Objekte – Grenzanzeiger, die vordem nicht zum Bildwerk gehörten, wechseln dabei ihre Funktion als Mittel und werden bildnerische Gegenstände – vergleichbar den Grenzanzeigern Podium, Pause, Heben des Taktstocks, Hochgehen oder Fallen des Vorhangs bei Aufführungen. (Zu Bildobjekten gehören dementsprechend in etlichen hier nicht abgebildeten Arbeiten dieses Maler-Plastikers auch Hocker, Konsölchen, Untersteller, selten Plinthe oder Sockel.)
Beweglichkeit im Denken und Reorganisation der Basis werden vom Betrachter erwartet: Mit Umdeutung sind wir ja alle Tage befaßt und erfahren nun, wie die gleiche unterschiedliche Farbe unterschiedliche/gleiche Felder umdeutet, wie das Gemeinte oder eben Nichtgemeinte ihre Wertigkeiten wechseln – was ich in Anschlag bringen kann, wenn ich zum Vergleich analogisch benenne: eine T-. H-. L- oder I-Form, einen Balken, ein Kreuz oder einen Stuhl... Die Vergleichsaspekte, nach denen fokussiert wird, wechseln von Bildobjekt zu Bildobjekt – sogar dann, wenn vollig identische Tafeln in den Blick kommen. Es kann nämlich dieselbe materielle Grundform mit unterschiedlichen Mustern, Modellen oder Schemata der Bezugnahme, der Wahrnehmung oder der Interpretation belegt werden. Dieselben materiellen Substrate von Zeichen, nämlich ihre Träger oder Mittel, können im Bewußtsein unterschiedliche gedankliche oder gefühlhafte Entsprechungen haben.
Bei der Arbeiten Porrmanns handelt es sich um leere Bilder. Sie enthalten Leerstellen, negative oder Hohlformen für das Bestimmen, das Ausfüllen und das Abschließen durch den Betrachter: er kann im Zwischenfeld von Unbestimmtheit und Determination das Regelwerk der Handlungsprinzipien rekonstruieren; er mag die Bildobjekte mit gedanklichen oder gefühlhaften Entsprechungen versehen; und er kann die offenen Zeichen durch Ingebrauchnahme pragmatisch zum Abschluß bringen.
Installation Galerie Michael Schultz, Berlin (1991)
Der überkommene Werkbegriff muß aufgegeben werden. Das Ganze im traditionellen Bild- und Werksinne gibt es nicht mehr. Wenn Porrmann einzelne Bildtafeln entfernt, ist dies noch einmal betont. Damit in Zusammenhang steht, welche Vielzahl von Bildtafeln diese Depotarbeiten enthalten. Es gibt kein Einzelbild. Porrmann zieht die Konsequenz aus der so einfachen wie folgenreichen Einsicht semiotischer Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorie: Ein jedes Objekt, ein jedes Bild hat eine Umgebung; und wie jeder Gedanke und jede Empfindung einen Vorgänger hat, so hat jeder Gedanke und jede Empfindung einen Nachfolger.
Auf dem Bild ist alles gleichzeitig präsent – sagt uns der common non-sense. Es ist bei Porrmanns Arbeiten unbedingt erforderlich, sich dem Verlauf der Zeit bei der Wahrnehmung auszusetzen. «Was auf den Bildern drauf ist, das sehe ich mit einem Blick» – in dem Falle hat einer dann gar nichts gesehen. Auch «klassische» Bildkompositionen werden beim Betrachter regelrecht nachvollzogen, was Aufzeichnungen von Augenbewegungen unterschiedlicher Betrachter eindeutig erweisen. Meine Hypothese: Dem Grad der Unbestimmtheit und Non-Relationalität in Porrmanns Arbeiten entspricht die Differenz der Sehweisen, die unterschiedlichen «Spielpartien» verschiedener Betrachter – von Interesse sind jene Indices oder «bildnerischen Anleitungen», die Wahrnehmungsverläufe nahelegen. (Eine empirische Studie zur Aufzeichnung solcher Augenbewegungen ist in Vorbereitung.) Nicht zu übersehen, dass Porrmanns Arbeit auch durch eine konstruktivistische und konkretistische Haltung bestimmt ist; verwiesen habe ich auf das Erbe van Doesburgs und Malewitschs. Ein Modul-Denken wird deutlich: Alles bewegt sich in diesen Einteilungen, bis hin zur Aufstellung der Kästen: ihr Abstand ist dem Modul entnommen.
Sprechen wir von anderen Bilder-Wahrnehmungen, die technisch «auf der Höhe der Zeit» sind. Meine Söhne fasziniert ein Computerspiel – mich inzwischen auch: Dabei sind vorgegebene Elemente (aus einer gleichen Grundmenge zu unterschiedlichen Formen zusammengesetzt) so zu ordnen, daß keine Lücken in dem virtuellen Computerbild entstehen - und das entspricht ja durchaus unserer Präsupposition von einer lückenlosen Außenwelt. In dem Computerspiel ist zudem Porrmanns Installationen vergleichbar, daß eine bestimmte Anzahl von Reihen in gleichmäBigen Blöcken zu füllen ist. Eine Variante jenes Spiels ist «nach oben offen»: es sollen möglichst viele Reihen aus den Elementen zusammengesetzt werden. Wie bei diesem Vergleichsbeispiel ist in den bildnerischen Arbeiten Porrmanns eine bestimmte Ganzheit nicht vorgesehen. Das gemeinsame Problem besteht in Vergleich und Identifizierung, Strukturierung und Zuordnung von Elementen der Wahrnehmung nach (Un-)Ähnlichkeit und (Un-)Gleichheit, nach (In-)Differenz, (Nicht-)Identität und (Nicht-)Abweichung. Es wird keine Ganzheit hergestellt. Und gerade weil sie nicht herstellbar ist, bleibt der Betrachter darauf verwiesen, mit den Fragmenten zu arbeiten; es ist kein Spiel, das 1:1 aufgeht.
Nicht zu ihrem Ende gebracht ist bis heute die Diskussion um das bedeutsame Konzept der Non-Relationalität von Frank Stella – nach meinem Dafürhalten zieht Günter Porrmann aus Stellas Ansatz entscheidende neue Schlüsse bei seiner Weiterarbeit und Kritik, die dann Stellas Probleme hinter sich lassen. Dies betrifft insbesondere die Determination oder eben auch Indeterminiertheit seiner Elementen-Repertoires, der Gesamtheit von Beziehungen als Strukturen, im besondern die Korrelationen von Farbe, Form, Objekt und Raum in seinen Arbeiten. Bemerkenswert ist in Porrmanns Arbeiten zunächst der Verzicht aufs Komponieren, das der traditionellen Auffassung vom Relationalen entsprach – statt von Non-Relationalität sollten wir jetzt eher von Mehrfach- oder Vielfach-Beziehbarkeit sprechen.
Porrmann will keine hier hierarchischen daue Bildaufbau haben, der Unter- und Überordnungen vornimmt, die dann nachvollzogen werden müßten. Wenn alle Tafeln aus einem Schrank oder einer Kiste hängen, er gibt sich keine Komposition, sondern eben eine Juxtaposition (um einen Term Susan Sontags anzuführen). Die Einzelteile der Kombinationen oder Konstellationen bestehen aus Zuordnungen in unterschiedlicher Hinsicht, nämlich von Elementen zu anderen Elementen nach ihrem Zusammenhang, ihrer Kohärenz in Binnenrelationen «von innen wiederum nach innen gerichtet». Ein anderer Gesichtspunkt ist die Zuordnung von Elementen zu Ganzheiten nach ihrer Ausdehnung oder Weite, ihrer Extension «von innen nach außen» und schließlich die Zuordnung von Ganzheiten zu anderen Ganzheiten nach ihrer Begrenzung oder Delimitation: «von außen nach innen gerichtet».
Informell einige Stichworte zu Wahrnehmungshandlungen, die Porrmann dem Betrachter als Möglichkeiten eröffnet: Verschiebung, Symmetrie, Vielfältigkeit – Einförmigkeit, die unterschiedlichen oder gleichen Weisen der Wiederholung, des Verdoppelns, Verdrei- oder Vervielfachens... sind weitere Aspekte. Vergleichen kann man ja erst, wenn man ein Objekt verläßt, zum nächsten übergeht. Die Vergleichbarkeit setzt die Bezugnahme von einem auf ein anderes, also auf zwei Objekte voraus. Bei zwei fängt das Plural an. Der Betrachter mag die Nebeneinanderstellungen ordnen – er kann Bauprinzipien rekonstruieren und Beziehungen in ein vermutetes oder unterstelltes Regelwerk eingliedern. Zu Modifizierung oder Umstrukturierung mag er kommen, sobald Organisation und Realisation von Bezugnahmen oder Beziehungen mißlingen – oder er kann die Basis für Notiznahme und Wahrnehmung bis hin zu Ausdeutung und Urteil revidieren. Der Betrachter mag seine eigenen Muster der Bezugnahme in Anschlag bringen; er kann seine Modelle der Wahrnehmung aktivieren und vor allem sich schließlich im besten Falle der eigenen Schemata seiner Interpretation bei ihrem Vollzug bewußt werden... .Ich sagte, Porrmanns Bildobjekte lassen sich als leere Zeichen auffassen. Die Leerstellen zwischen dem, was normalerweise, gewohntermaßen und daher erwartbar als materialisiertes ästhetisches Objekt gilt – die Leerstellen sind hier mit gemeint ähnlich den leergelassenen Teilen in Cages «music indeterminate of its permance» oder Köpckes Stücken, zu denen er die Anweisung gab: «Fill with own imagination».
Der Prozeß künstlerischer Schöpfung oder Kreation basiert nach meinem Dafürhalten auf Vor-Zeichen, auf leeren Zeichen im Unter- und Vorbewußtsein – sowohl beim Künstler wie beim Betrachter. Diese von mir so genannten Vor-Zeichen können wir als unvollständige, unterbestimmte Zeichen ansehen: zu vergleichen mit Leerstellen und Hohlräumen, auch mit Lücken, Sprüngen oder Brüchen in vollständigen Zeichen. Die Dinge, die Günter Porrmann zeigt, sind zunächst nur Dinge neben anderen Dingen. Mit den Vor-Zeichen haben die Betrachter Abweichung von Zeichenhaftigkeit in ihr Kalkül aufzunehmen, so daß sie selbst die (als ästhetisch behaupteten) Bildobjekte erst zu Zeichen machen sollen. Ihnen ist die Leistung zugedacht, jene Objekte erst zu semiotisieren. Die Dinge werden zu ästhetischen Zeichen, sobald ihre bloße Gegenstandsbedeutung in Zeichenbedeutung überführt wird – zudem mag der Betrachter für sich Relationalität und Kontextualität herstellen.
Porrmann wirft als Thematik Nachschub und andererseits Vermeidung in die Debatte. Wohin mit all den Kulturgütern? Der «Kunst-Wegwerfer» war das Paradigma einer Ars Mars: die individual-anarchistische Antwort des verschollenen Bernhard Hoeke, aber eben nur eine kriegerische Lösung. Es stellt sich in der Kunst heute die Frage nach Entsorgung und Entzug. «Diese Begriffe, die Du in die Kunstrezeption überführt hast, zeigen an, daß ästhetische Objekte in einen anderen als nur durch Wahrnehmung gesicherten Rezeptionszusammenhang gebracht werden sollen. Stellen wir uns doch vor: Es könnte richtig sein, daß Leere oder Ausdünnung und ästhetische Komplexität dialektisch zusammengeschlossen werden.»
S. D. Sauerbier
Zum Werk von Günter Porrmann – Zu Recht steuerte Benjamin Buchloh vor einigen Jahren in einem Essay zur Kunst Blinky Palermos einem fast unaufhaltsamen Trend zur Mythisierung des Düsseldorfer Künstlers entgegen, indem er auf den historischen Kontext, in dem sich dessen Kunst befindet, verwies. Der unter formalen Gesichtspunkten heterogene Korpus seines Werkes diente Buchloh in der Tat dazu, dem Mythos einer Suche nach Identität das Modell einer variantenreich auf die internationale ästhetische Diskussion reagierende Strategie gegenüberzustellen: „Verstanden wird das Fragmentarische und die Unaufgelöstheit der Widersprüche nicht als Versagen, schon gar nicht als das Fehlen von Identität, sondern, wenn Wertung sich überhaupt einstellen sollte, dann als eine Form des Widerstandes gegen die zentrierenden Forderungen der bürgerlichen Rezeption an den Künstler als des Exempels der gesellschaftlichen Ausnahme, mit der sich die Regel affirmieren läßt als Supra-Identität, um deren Preis es sich lohnt, Entfremdung allgemein zu erhalten. Unter dieser Perspektive erscheint Palermos Werk frei von jeglicher Transzendenz, wie sie etwa in der asketischen Disziplin von Knoebels Arbeiten anzutreffen ist. Palermos Werk kennzeichnet in der Tat ein Wille zur konkreten Formulierung, deren Bezugsrahmen die künstlerischen Verfahren als kulturelle Praktiken darstellen.
In dieser Hinsicht zeigt das Werk von Günter Porrmann Parallelen zu Palermos Werk auf, und der Künstler bestätigt dies, wenn er in seiner lapidaren Art von seinen Studienkollegen an der Düsseldorfer Kunstakademie sagt, er habe mit Knoebel kaum Kontakt gehabt – eher mit Palermo, da gab es mehr Berührungspunkte. Buchloh benennt zwei Pole, zwischen denen das Werk Palermos sich bewege, nämlich „auf der einen Seite das vorgefundene Ornament der Massenkultur, ... auf der anderen Seite die Projektion der architektonischen Rahmenbedingungen, in denen das ästhetische Konstrukt sich als einzig in diesen konstituiert und aufgehoben darstellt und jegliche Öffnung auf ästhetische Erfahrung, die über diese hinausgehen könnte, radikal verneint. Einen dritten Aspekt erwähnt Buchloh nicht, der m.E. partiell aus den beiden o. g. resultiert, zu ihnen komplementär ist. Diesen Aspekt hat Kuspit anläßlich einer Studie über Federle benannt, nämlich der Wunsch nach individuellem Ausdruck innerhalb abstrakter Formen: „Man hat die subjektiven Zielsetzungen der post-malerischen Abstraktion aus den Augen verloren, wo man dazu tendierte, die abstrakte Kunst zu einer handwerklichen Übung zu reduzieren als Teil des Versuches, diese gänzlich vom Subjekt zu befreien. Auch wenn man diesen Aspekt nicht überbetonen sollte, so kommt er doch auf verschiedenen Ebenen ins Spiel, wenn etwa dem Zufall eine gestalterische Rolle zufällt; unübersehbar aber in der Art wie Palermo und Porrmann die Serien konzipieren: als offener Rahmen mit systematischen Elementen, zwischen denen viel Spielraum für individuelles Gestalten bleibt. Besonders hinsichtlich der malerischen Elemente (Wahl der Farben, ihre Kombination, ihre Verteilung auf dem Bildträger etc.) ist das Offenhalten der subjektiven Option ortbar.
Dennoch ist natürlich der Verzicht auf überkommene subjektive Gestaltungsmittel vorherrschend. Mehr allerdings als der Beuys-Schüler Palermo konzentriert sich Porrmann, der bei Gerhard Hoehme studierte, in dem Wunsch, die Malerei zu vermeiden, doch wieder auf ihre Mittel. So verwendet er viel Zeit für den in zahlreichen Schichten erfolgenden Farbauftrag. Um einer zu kühlen Erscheinung der Farben zu entgehen, bearbeitet er abschließend die Oberflächen seiner Bildtafeln und gibt der Oberfläche matten Glanz: nimmt der Farbe ihre geschlossene Oberfläche, ihren Spiegel-Charakter, ihr Versiegelt-Sein. Auf diese Weise erreicht er eine stärkere Gegenwart der Farbe im Werk, ohne sich der materialästhetischen Eigenschaften von „Malerei" bedienen zu müssen. Zugleich aber wendet sich Porrmann gegen die Malerei, indem er Farben benutzt, die nur wenig autonome Merkmale besitzen: es sind merkwürdig blasse, immer abgetönte Farben. Etwas impressionistisch könnte man sagen, es seien „müde" Farben.
Auch wenn die jüngste Serie kleinformatiger Arbeiten einen Trend zur Intensivierung der Farbwirkung erkennen läßt, ist auch hier noch er-kennbar, daß es Porrmann keinesfalls um ein Farberlebnis geht. Ihn interessieren nach wie vor strukturale, d.h. kontextuelle Aspekte der malerischen Arbeit: Raum- und Lichtwirkung, Interaktion von Figuren und Strukturen: Reihung, Variationen, Spiel und Zufall und ihre Wechselwirkung mit Wahrnehmung und Verhalten des Betrachters. Eine grundlegende Arbeit ist meiner Ansicht nach eine Serie von 25 Graphit-Zeichnungen auf Papier aus dem Jahre 1980. Jede einzelne weist sowohl unterschiedliche Binnenformen als auch völlig divergierende Umrisse auf. Keine Zeichnung hat ein rechteckiges oder quadratisches Format, auch abweichende geometrische Körper wie Trapez oder Parallelogramm wurden bewußt vermieden. Auf der weißen Papierfläche befinden sich pro Blatt völlig willkürlich definierte Flächen. Schließlich wird in keiner Zeichnung eine unmittelbare formale Korrespondenz zwischen gezeichneter Form und gerahmtem Blatt hergestellt. Die Elemente sind weitestgehend disparat, ihre gemeinsame Grundlage bildet lediglich die Ausgangssituation: dieselben verwendeten Materialien, dieselbe gestalterische Behandlung, dieselbe Rahmung. Letztere ordnet sich übrigens auch dem Shape des jeweiligen Blattes unter.
In dieser Serie zeigt sich der Aktionsradius des Künstlers Porrmann: seine Mittel, seine künstlerischen Themen, nicht zuletzt auch seine weltanschaulichen Strategien. S. D. Sauerbier hat Porrmanns Strategie als „das endgültig Vorläufige“ bezeichnet. Abgesehen von dieser sich nicht als solche gebende deterministische Bezeichnung scheint Sauerbier zu übersehen, wie sehr Porrmann doch die traditionellen künstlerischen Mittel respektiert: der bewußt gestaltete Einsatz von Raumwirkung, Zeichnung und Licht. Eine Betrachtung der verschiedenen Werkgruppen Porrmanns aus den achtziger Jahren macht dies ganz deutlich. Im selben Jahr wie die Graphit-Zeichnungen entsteht eine Reihe von Objekten, die über Augenhöhe nebeneinander an die Wand montiert werden müssen. Es handelt sich dabei um verschieden gerundete Formen aus matt schwarz lackiertem Holz mit ebenfalls sehr unterschiedlichen Durchbrüchen. Die Serialität der Installation evoziert bei näherer Betrachtung ein Bild äußerster Disparatheit, die einerseits durch die mangelnde Einheitlichkeit dem homogenen Erscheinungsbild der Serie entgegenarbeitet, andererseits sich aber auch thematisch jeder phänomenologischen Einordnung widersetzt. Übrig bleibt lediglich die Einzelform in ihrer konkreten Erscheinung, die sich locker in ein All-Over-Bild fügt.
Wandskulptur (1982) Lack auf Holz
Das Interesse an den für das Zustandekommen eines Bildes beteiligten Elementen wird noch deutlicher in einer bislang nicht ausgestellten Serie von „Soft-Sculptures" aus dem Jahre 1985, die in Wirklichkeit objekthafte Zeichnungen sind. Sie bestehen aus unregelmäßig geschnittenen, matt schwarz lackierten Blechstreifen (Fundstücke), die Porrmann durch Nieten miteinander verbunden hat. Mit dieser Werkgruppe griff Porrmann auf rationale Ansätze des Minimal ebenso, wie auf die Zufallsgenerierung Arpscher Prägung zurück. In der vordergründig völlig indifferenten formalen Durchbildung offenbart mutatis mutandis subjektiver Ausdruckswille. In den folgenden Werkgruppen kehrte Porrmann wieder zu klarer definierten Rahmenbedingungen zurück. Verschiedene farbige Serien sind seit 1987 entstanden, die sich aus einem Depot heraus definieren. Porrmann verstaut die Tafeln gleichen Formates in eigens dafür hergestellten „Kisten". Die Anordnung der ganzen oder von Teilen der jeweiligen Serie auf der Wand im Ausstellungsraum nimmt Bezug auf dieses Depot.
Dem Künstler ist bei diesen Arbeiten besonders das Aufzeigen der „Leerstellen" wichtig: in den offenen, im Ausstellungsraum aufgestellten Depotkisten bilden die herausgenommenen Tafeln solche Lücken; umgekehrt sind die in den Kisten verbleibenden Tafeln die Leerstellen der Installation an der Wand. Auch kann letztere selbst in sich Leerstellen aufweisen, die dann nicht von real vorhandenen Tafeln gefüllt werden können, sondern deren Existenz von der Anteilnahme und Imagination des Betrachters abhängt. Das unendlich scheinende Verwirrspiel, das die Serien der letzten vier Jahre kenn-zeichnet, das unbekümmerte Changieren zwischen den ästhetischen Ordnungsfaktoren und ihrer Wahrnehmung zeigt an, daß Porrmanns Interesse an den kontextuellen Bedingungen von abstrakter Malerei einen Grad an Meisterschaft erreicht hat, der ihm die Ebene der Transzendenz eröffnet, ohne auf außerhalb der Malerei liegende Mittel zurückgreifen zu müssen. Mit Malewitsch läßt sich hier sagen: „Die Formen entspringen der Eroberung des Unendlichen durch die intuitive Energie, aus der auch die Formvarianten als Werkzeuge der Mobilität hervorgehen.
Friedemann Malsch
Hiltrud Jordan Galerie, Köln 23.2. - 5.4.1991
Man braucht kein Rechenkünstler zu sein, um nach einigem Nachdenken darauf zu kommen, was mit 126 ▸ 21 ▸ 6 gemeint ist. Günter Porrmann (Jg. 1941) zeigt in der Hiltrud Jordan Galerie sechs Arbeiten zu je einundzwanzig Teilen, die insgesamt einhundertsechsundzwanzig Teile ergeben.
Porrmann ist ein präziser Arbeiter. Es herrscht eine organisatorische Strenge. Die 21 Teile sind zu je sieben Tafeln, eine jede 29,5 x 33,5 cm groß, gereiht; der Normalabstand zwischen den Tafeln entspricht jeweils einer Normgröße. Wer also weiterrechnen will, kann sich die Gesamtausdehnung an der Wand zusammenmultiplizieren: (13 x 29,5) x (5 x 33,5)! Doch die Rechnung täuscht. Nicht jede Tafel ist zu sehen. Porrmann nimmt aus den Reihen Teile heraus und lagert sie in dem dafür bereitstehenden “Depot” (Porrmann), das Platz für alle Elemente hat. Die magazinierten Tafeln bleiben Teil der Arbeit, sind aber den Blicken entzogen. Das Gitter hat Leerstellen, anders gesagt: Es bilden sich rhetorische Pausen in den Folgen. Gleichzeitig wird das Magazin zum skulpturalen Ruhepunkt der Arbeit, aufgeladen mit der Energie des Restes, der die Arbeit optisch schließen könnte.
Die Beschreibung dieses Systems einer visuellen Verweigerung, die durch ihre denkerische Klarheit fasziniert, könnte fast von dem ablenken, was wirklich zu sehen ist: Farbtafeln, die immer wieder bemalt und geschliffen sind – ein Verfahren, das Porrmanns Herkunft aus der analytischen Malerei verrät –, so daß die nach Horizontale und Vertikale organisierten Farbfelder durch eine kontrollierte Materialität da sind. Vielleicht gibt es für die Reihungen ein Gesetz, das will sich aber so schnell nicht verraten. Die lineare Organisation der sechs Ensembles ist im übrigen gleich, was sich durch den vergleichenden Blick rekonstruieren läßt: “Eine Arbeit ist das Gedächtnis der anderen” (Porrmann). Doch diese Tatsache muß dem Betrachter nicht unbedingt auffallen, weil der jeweilige Farbklang die Gruppe individualisiert.
Irgendwann hören dann auch die Fragen des Betrachters an Porrmanns Konzeption auf, weil die Optik dieser Versuchsanleitung zwischen Sehen und Wissen als solche fasziniert. Die Installation nimmt für sich ein, sie hat die kühle Klarheit einer Partitur, deren Schriftbild auch den fasziniert, der sie sich durch Lesen nicht zum Klingen bringen kann. Alle sechs Arbeiten sind eingebunden in den Prozeß einer entwickelnden Variation. Überhaupt sah man den langgestrecken Galerieraum selten mit soviel Proportionsgefühl vernetzt.
Reinhard Ermen
Der Konstruktivismus ist eine streng gegenstandslose Stilrichtung der Moderne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Richtung hatte zeitweise den Charakter einer politischen Bewegung und wurde im revolutionären Russland und in der Sowjetunion entwickelt; der niederländische De Stijl wird ebenfalls in diesem Zusammenhang genannt. Der Begriff Konstruktivismus verweist auf das lateinische Wort constructio: „Zusammenfügung“, „Bau“.
Eigenschaften
Charakteristisch ist ein einfaches geometrisches Formenvokabular, wie auf dem berühmten Bild Schwarzes Quadrat auf weißem Grund von Kasimir Malewitsch. Die neue Kunstrichtung, der in den theoretischen Manifestationen auch ein gesellschaftliches Moment innewohnte, beinhaltete Malerei, Plastik, Architektur, Möbel-Entwurf, Bühnenbild, Plakatgestaltung. In der konstruktivistischen Malerei, z. B. in Malewitschs Suprematismus, kam keine perspektivische Raumillusion vor.
Obwohl der Versuch, Kunstobjekte mittels mathematisch fundierter Konstruktionen zu erstellen, nicht neu ist (vgl. Goldener Schnitt), wird der Terminus Konstruktivismus im Allgemeinen nur für moderne Kunst gebraucht, zumeist in Verbindung mit geometrischen Gestaltungsformen. Der Konstruktivismus ist eine Ausdrucksform der ungegenständlichen Kunst, die nicht von der Anschauung abstrahiert. Konstruktivistische Werke haben – anders als der Kubismus – keine menschlichen Figuren, Tiere, Landschaften oder Gegenstände zur Grundlage. Malewitsch, Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Max Bill, Richard Paul Lohse und andere haben darauf hingewiesen, dass es daher falsch ist, den Konstruktivismus und die Konkrete Kunst (auch Konstruktive Kunst genannt) als Abstrakte Kunst zu bezeichnen.
Die Konstruktivisten vertraten ein geometrisch-technisches Gestaltungsprinzip mit Farbflächen, Linien und geometrischen Grundformen. Ihre Hauptvertreter waren Künstler und Künstlerinnen der Russischen Avantgarde. Der Konstruktivismus entstand parallel zum Dadaismus und zum Futurismus ab Mitte der 1910er Jahre. Seine Quellen und Inspirationen waren: die Angewandte Kunst (z. B. gewobene Teppiche, textile Muster), die neuen technischen Entwicklungen und der Kubismus. Der Konstruktivismus hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der Kunst- und Gestaltungsbewegung des Bauhauses.
Entwicklung
Die Architektur galt dem Konstruktivismus gleichsam als „Mutter aller Künste“. Der Name Konstruktivismus soll 1913 erstmals für abstrakte Reliefkonstruktionen Wladimir Tatlins sowie für Werke des Malers Kasimir Malewitsch verwendet worden sein, der im so genannten programmatischen Nullpunkt auf ein weißes Quadrat ein schwarzes „vollkommenes“ Viereck malte und umgekehrt; siehe Suprematismus. Die Künstler des Konstruktivismus bezeichneten sich selbst als „Bildner“ und lehnten naturalistische „Nachbildungen“ kategorisch ab.
Der russische Konstruktivismus weist nach dem Umsturz von 1917 aufgrund der revolutionären politischen Situation oft propagandistische Züge auf. So baute man 1920 in Petrograd nach den Entwürfen Tatlins ein 30 m hohes Holzobjekt als Modell für einen geplanten, aber nie realisierten 400 m hohen Stahlgerüst-Pavillon, der ein Monument der III. Kommunistischen Internationale werden sollte. Es war vorgesehen, die einzelnen Teile wie die beweglichen Sphären eines Planetariums zu konstruieren.
In einem 1920 von Tatlin und den Brüdern Pevsner mit staatlicher Unterstützung veröffentlichten Manifest wurden der konstruktive Realismus und die Kinematik als Gestaltungsprinzipien hervorgehoben.
Verbindungen
Abgesehen von seinem russischen Ursprung, wurden auch Künstlervereinigungen wie der niederländische De Stijl, das Bauhaus und die konkrete Kunst (Zürcher Konkrete) vom russischen Konstruktivismus beeinflusst. Die auf der sowjetischen Ausgangsbasis aufbauende Strömung wird analytischer Konstruktivismus genannt.
Wie Malewitsch, Liubov Popova, Rodtschenko und andere Angehörige der Russischen Avantgarde malten z. B. auch Josef Albers, Lyonel Feininger, Sophie Taeuber-Arp und Thilo Maatsch Kompositionen aus geometrischen Formen. Später vertraten auch Victor Vasarely, Max Bill, Richard Paul Lohse und Barnett Newman das konstruktive Prinzip. Oskar Schlemmer wurde für seinen figuralen Konstruktivismus bekannt. Die der englischen Gruppe „Unit one“ angehörenden Maler sympathisierten mit dem Konstruktivismus, bevorzugten aber weniger gebundene Formen.
Der Konstruktivismus war eine der frühen Strömungen moderner Kunst, mit der sich eine große Anzahl bildender Künstler auseinandersetzte. In Großbritannien wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in London eine neue konstruktivistische Kunst-Bewegung, maßgeblich von Victor Pasmore und anderen Künstlern beeinflusst, begründet. Viele dieser Künstler entstammten der St Martin’s School of Art und hatten den Schwerpunkt ihres Schaffens in den 1950er und 1960er Jahren.